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Nico - Desert Shore | Fleetwood Mac - Kiln House

Nico - Desert Shore (Reprise, 1970) LP
Sufjan Stevens, 10 mal hören müssen, dann langsam gefallen. Lange überlegt, lange versucht sich reinzufühlen, nicht so recht geschafft, naja, ein bisschen. Review geschrieben. Dann zwei drei Platten nach hinten gegrabbelt und eine Nico gefunden, die ich vor zwei drei Jahren gekauft und noch nie angehört hatte. Na also, manchmal braucht Musik ihre Zeit und jetzt war sie da.
Titel des ersten Liedes gelesen: Janitor of Lunacy. Hingesetzt. Nicos Harmonium fängt an zu wummern und ihre schneidend pathetische Stimme mit dem starken deutschen Akzent schwebt dazu. Sofort entspannt sich jeder Muskel, ein Grinsen wie ein schmieriger Börsenmakler, der gerade aus tausend Mark hunderttausend Mark gemacht hat, legt sich in mein Gesicht ... und wird immer breiter. Das junge Herzchen hopst. Ich bin zu Hause. Das ist meine Art von Wahnsinn. Hier fühle ich mich wohl. Da brauche ich mich nicht anstrengen und suchen, wo was Gutes dran zu finden ist. Das hier ist Legende, da passt jeder Ton, auch 35 Jahre später noch. Das treibt den Menschen heute noch das Schauern in den Leib, bei all der Abgestumpftheit, bei all dem Extremen, bei all dem Ist-schon-dagewesen-kann-keinen-mehr-schocken. Nico kann das noch und auch in 50 weiteren Jahren noch.
Während die Platte läuft, lese ich in der Tageszeitung von einem ganz jungen englischen Paar. Am Abend vor dem ersten Rendevouz hat sie einen schweren Verkehrsunfall und liegt vier Monate im Koma. Er weiss das nicht, ruft immer wieder an und gibt nicht auf obwohl ihr Handy ausgeschalten ist. Sie wird wieder gesund doch beim ersten Treffen hat sie Angst, denn sie hat ein Auge verloren und muss eine Perücke tragen. Doch das kann den jungen Helden nicht schrecken, im Gegenteil, er bewundert sie noch mehr.
Im Hintergrund jammert Nico - meine Lautsprecher würden sich selbst richten, wenn sie nur könnten - doch mir steigen die Tränen in die Augen und ich frage mich, was mit mir nicht stimmt, wenn Nico-Musik mich derart in Rührung versetzt, dass nur noch ein kleines Geschichtchen dazukommen muss und ich fange an zu heulen.
Dazu fällt mir ein, dass die Stereo Satanics, als sie auf ihrer Portugal Tour, im tiefen Süden des Landes, abends nach der Show, in einem abgelegenen Hotel beieinander sassen und den Geburtstag ihrer Tourbegleiterin Ana feierten. Es war kalt und ungemütlich und dennoch waren wir alle irgendwie emotional aufgewühlt und fingen an uns gegenseitig zu erzählen, in welchen Situationen wir vor Rührung heulen mussten. Bei mir reichte da schon Novalis' Flossenengel, falls das jemandem von Euch was sagt, Ihr Banausen. Und so sind Jungs von denen alle denken sie seien cool und arrogant.
Alles das fällt einem ein, wenn man Nicos Desert Shore hört.
(Ralf, 5.2.11)

Fleetwood Mac - Kiln House (Reprise, 1970) LP
Eigentlich eine wirklich schöne Platte, obwohl sie damals unter der Blues-Polizei natürlich geächtet wurde. Hab mich selbst lange dagegen gesträubt, da es die erste Platte nach Peter Greens Ausscheiden ist, was für mich soviel bedeutete, wie "braucht man nicht mal anzuhören", doch da wenigstens der Rest der "grossen" Besetzung FMs dabei ist, also noch mit Danny Kirwan und Jeremy Spencer, die auch auf dem Jahrhundertalbum "Then Play On" (von dem ich hier schon an anderer Stelle geschwärmt habe) spielten, wollte ich ihr nun doch mal einen Durchlauf erlauben. Manchmal findet man ja unter den öffentlich geschmähten Werken die grössten Juwelen.
OK , die Platte ist zahm und harmlos, mit eher seichter Tiefe in musikalischer, emotionaler und textlicher Hinsicht, aber trotzdem schön.
Ich denke, sie haben das Beste aus sich herausgeholt: Die Gitarren sind wieder ganz hübsch, man besinnt sich auf die eigenen Stärken und hat ein paar nette Songs zu bieten, insbesondere "Jewel Eyed Judy" aus Kirwans Feder. Dieser Song alleine rechtfertigt den Kauf und dann kann man den Rest ja ganz entspannt angehen.
Jeder Versuch an die Grösse von "Then Play On" anzuknüpfen, hätte natürlich fehlschlagen müssen. Die selbe Qualität fiebernder Genialität wie mit Green, diese sensationelle Konstellation mit drei Sologitarristen, grosse Emotionen, grosse Kunst, das konnte hier nicht erreicht werden und das wussten sie auch.
Das Schicksal des Triumphirats Green, Spencer, Kirwan hätte übrigens trauriger kaum sein können (und vielleicht schreibe ich diese Kritik ja nur um Folgendes loszuwerden). Green wurde irre nachdem er einen Trip zuviel geschmissen hatte (das soll ja sogar nach einem Auftritt im Deutschen Museum in München gewesen sein, als sie sich in der K1 die Kante gaben, die scheiss Hippies). Anschliessend trat er aus der Band aus und musste sich medikamentieren. Erst Ende der 70er wagte er sich an Soloplatten, die man schon wegen seiner grossartigen Stimme (Green ist ja mein erklärter Lieblingssänger vor Punk) auch anhören kann, zumindest die ersten beiden, doch das Genie war spürbar betäubt, seine Kunst flach.
Spencer rannte nach Kiln House zu irgendwelchen durchgeknallten Sekten weg und Kirwan flog 1972 wegen Alkoholeskapaden raus. Er versuchte sich noch erfolglos (und das beziehe ich nicht nur auf die Verkaufszahlen) an einigen Soloalben, konnte dann aber aufgrund seiner Alkoholsucht nie wieder richtig musizieren.
Und diese 3 Typen waren die gefühlvollsten und besten weissen Blues-Gitarristen aller Zeiten. An ihrem Zenit alle Anfang 20, Kirwan sogar noch darunter. Was für eine beschissene Zeit das damals gewesen sein muss, dass sie ihre grössten Genies so verplemperte.
(Ralf 9.6.09)


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