Platten 2007

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Baby Woodrose - Chasing Rainbows | Black Lips - Good Bad Not Evil | PJ Harvey - White Chalk | Hellmute - The He-She Strikes Back! | The Pancakes - Aquanaut | The Renderings - Head Back

PJ Harvey - White Chalk (Island Records, 24.9.2007) LP
Heute war wieder der Tag. Der monatliche Tag an dem ich mir erlaube Harvey's White Chalk anzuhören. PJ Harvey hatte ich eigentlich nie gehört, stand aber immer schon auf der "Sollte man mal"-Liste. Mit White Chalk bin ich eingestiegen und war elektrisiert, gebannt, fasziniert. Für mich eine der ganz wenigen neueren Platten, die mich in jugendliche Begeisterung verfallen lassen. Diese Platte ist ein Wunder, mir gefällt alles daran.
Die Instrumentierung: Vorwiegend Piano - das Harvey übrigens hierfür neu entdeckt hat - und sehr geschickt, weil wenig auffallend, sind eine Menge weiterer Instrumente involviert. Hier kommt die erfahrene Produktion von Flood und John Parish zum Tragen. Mit letzerem ist Polly seit Anfang der 90er Jahre verbunden.
Der Gesang: Harvey bedient sich ihrer mädchenhaften Seite, lässt die angepisste Angry-Women-Stimme völlig beiseite, und wird manchmal fast sogar gruselig dabei, fliegt davon und schwebt wieder zurück, unirdisch wirkenden Melodien folgend.
Das Cover: Ich finde es einfach ... intensiv, genauso eindringlich wie die Musik. Es spiegelt die inneren Werte der Scheibe komplett wieder. In seiner Unschuldigkeit genauso wie in seiner Schuld. Gespenstisch, vieldeutig, stark und zerbrechlich zugleich. Vielschichtigkeit ist eine Tugend, die ich immer schon sehr hoch bewertet habe. Nur kommt die Vielschichtigkeit hier gar nicht so offensichtlich hervor, denn es dreht sich ja nur um ein schlichtes Foto einer Frau. Auf der Innenhülle ein ä;hnliches Foto, seitlich, von Harveys Kopf. Aber die Pose, die Beleuchtung, das Kleid, der Gesichtsausdruck!! Wie ein Gemälde aus einer Zeit, als die Maler noch mit Gesten und Gesichtausdrücken tiefe Bedeutungen auszudrücken versuchten.
Und genauso sparsam wirkt die Musik im ersten Moment. Die atmosphärische Tiefe, die Komplexität von Komposition und Instrumentierung ist zwar sofort spürbar jedoch schlicht und unaufdringlich. Sie scheinen bescheiden und unschuldig zu sein und offenbaren sich erst bei genauem Hinsehen.
Wie ein Geist, der bei Tageslicht am anderen Ufer eines Sees steht. Man sieht ihn und er sieht rüber, zunächst im Gewand einer alltäglichen Situation normal erscheinend, doch die haareaufstellende Wirkung kommt dann umso intensiver, wenn man sich der Situation auch wirklich bewusst wird. So muss man sich dieses Albums bewusst sein. Nebenher kann man es eh nicht hören, denn dann dreht es einem die Gurgel zu. Und dann, bei der Steigerung im letzten Lied stellen sich mir jedesmal alle Haare auf als würde der Geist nun direkt durch mich hindurch gehen.
Nur bei den allerbesten Platten nehme ich mir vor, sie so wenig wie möglich zu hören, damit ich das Erlebnis bewahre und sich ja nichts abnutzt. Ich hab mal ein paar Verwandte gehabt, die sind nie in ihr Wohnzimmer gegangen, weil sie es nicht schmutzig machen wollten. So ähnlich halte ich es mit dieser Musik.
Hab mir anschliessend ne Menge weiterer Harvey-Platten gekauft. Keine gibt mir dieses Erlebnis. Daher warte ich auf das nächste. Seit White Chalk gab es nur eine Platte mit Musik von John Parish und Texten und Gesang von Polly Jean. Die hat auch tolle Momente, in ihrer Komplettheit kommt sie an White Chalk aber nicht im Entferntesten heran.
(Ralf, 4.8.10)
Harvey war schon immer irgendwie quer, doch dieses Album ist in seiner Gesamtheit, auch in der Herangehensweise, underground purauch die Unterk�hltheit, das gespentisch Ferne ist hier sooo intensiv ...
Black Lips - Good Bad Not Evil (Vice, 11.9.2007) LP
Neben zwei Live-Alben mittlerweile das 4. Fulllength von Atlantas Finest. Und wenn man bedenkt, dass die Woggles aus Atlanta sind, soll das was heissen!!
Trotz wütender Beschwerden meiner Kameraden über diese Platte und meine letztjährige Behauptung, die Band würde aufgrund ihres trashigen Sounds niemals berühmt werden, finde ich, dass sich hier kaum etwas geändert hat. Der Sound ist bei manchen Songs minimal besser, vorallem mit hervorgehobenerem Gesang. Das sind aber nur Abschnitte. Unterm Strich blieb ihre 60s Verliebtheit, ihre schnoddrige Art, ihr unglaublicher, unverwechselbarer Style (seht Euch nur das Cover an!!!!), ihre Wandelbarkeit, ihre magischen Kompositionen (die wie immer aber manchmal auch einfach nur nach hinten losgehen), ihr Hang zum Makabren, zum Grusel, was ja aber auch irgendwie ein Sixties-Ding ist, eben auf die Screaming Lord Sutch Art, mit total überzeichnetem Witz darunter. Witze, die sie mit todernster Miene vortragen. Genauso wie sie intelligent und dumm von einer Sekunde auf die nächste sind. Sowas passiert nicht unabsichtlich.
Die Gitarren schmirgeln weiter auf ihren H- und E-Saiten, das Schlagzeug deppert energielos im Hintergrund, findet aber immer wieder zu neuen Rhythmen (natürlich nicht wirklich neu) und immer wieder finden sie auch neue Instrumente, die sie einbinden können.
Dass sie momentan irgendwo gehypt werden, wo ich nicht hinsehe, mag sein. Schliesslich sind sie ja nun auch auf dem britischen Hip-Label Vice gelandet. Und wenn sie auch bekannt werden sollten (nach Nathalies Erlebnis in Australien, wo sie mittlerweile 500er Clubs ausverkaufen und 499 Teenage Clons von sich im Publikum ertragen müssen, ist das wohl tatsächlich nicht mehr weit), so bleibe ich ihnen mit dieser Platte auf alle Fälle noch erhalten, denn musikalisch hat sich nichts geändert. Für mich ist der Zug für die Lips noch auf dem Gleis. Ich finde Good Bad Not Evil grossartig und so BlackLips-mässig, wie eh und je. Ich bin weiterhin ganz der Fan! Nur wenige aktuelle Bands sind für mich nachwievor in der Lage sich gleichzeitig derart treu zu bleiben und sich dennoch immer wieder so zu erneuern.
(Ralf, 2.4.08)
Baby Woodrose - Chasing Rainbows (Bad Afro, 22.10.07) CD
Habe Baby Woodrose mal im Rockpalast gesehen und da kamen sie mir wesentlich weniger poppig und psychedelic vor als auf diesem, mittlerweile 6. Album. Das erste, "Blows Your Mind", gilt ja mittlerweile als Kultklassiker und ist jetzt erstmals auch gemastert erschienen. Bis dato gab es nur eine ungemasterte Version, was die ursprüngliche Ernsthaftigkeit des Projekts Baby Woodrose unterstreicht. Mittlerweile gelten sie aber als eine der erfolgreichsten Bands Dänemarks.
"Chasing Shadows" hat ne Menge schöne Momente, insbesondere die Orgelmelodien, im Ganzen ist es mir aber zu unpersönlich. Die Vocals schweben irgendwie so abgehoben im äther herum und alles wirkt seltsam distanziert. Ausserdem ist's mir auf Dauer zu eintönig. Tempowechsel beispielsweise finden kaum statt.
Sonst wär's eine recht nett zu hörende Platte. Da beisst nichts und alles läuft ganz ölig durch den Gehörgang. Der 60s-Psychedelic-Einschlag gefällt mir natürlich gut, ist aber wirklich nur rudimentär vorhanden, sowas wie eine Grundanlage, die aber von viel Pop und Rock übertönt wird, der zwar ganz eigentümlich scheint, irgendwie aber dennoch nach "Hab ich schon gehört" klingt. Trotzdem wieder mal eine weitere sehr interessante skandinavische Band. Was die so alles an Hochqualität raushauen, das täte uns hierzulande auch mal gut.
(Ralf 1.4.08)
The Renderings - Head Back (Come Again Music, 2007) CD
Die Mössinger Punk-Kombo mit ihrem dritten Longplayer. Sie sind ihrem Stil treu geblieben und bieten soliden 77er-Punk mit hohem Mitgröhlfaktor. Die Songs sind sehr eingängig und bleiben meist schon beim ersten Hören hängen. Dennoch ist die Band clever genug, immer wieder ein paar Haken einzubauen, raffinierte Schlenker, die den Sound aufwerten und ihm die unverwechselbare Note aufdrücken.
Technisch bewegt sich die Band soundso auf sehr hohem Niveau, spielt alles punktgenau, sauber und stabil und verfügt mit Chris über einen absoluten Ausnahmesänger in diesem Genre.
(Ralf, 24.2.08)
The Pancakes - Aquanaut (Ufo-Ton-Kernschall, Eigenvertrieb, 2007) 2LP
Der Gott des Space-Surf-60s-Psychedelic-Rocks erhalte sie uns noch lange, diese Pancakes.
Ihr neuster Streich: Eine Live-Doppel-LP, zusammengeschnitten aus Auftritten während ihrer 2006er Tournee.
Das Trio mit Wurzeln auf der schwäbischen Alb kennen heute viele der jüngeren Musikliebhaber unserer Breiten gar nicht mehr. Schliesslich kommt die Band nur noch selten zu einem kurzen Gastspiel, meistens in oder um Albstadt, in ihre alte Heimat.
Niemals haben sie sich am Publikumsgeschmack orientiert, sind einem Trend vorweg- oder hinterhergerannt, sondern haben von Anfang an ihr ureigenes Ding durchgezogen und das tun sie fast unverändert bis heute. Man mag sie mögen oder nicht, doch ihre Querköpfigkeit war, ist und bleibt die besondere Stärke der heute in Pforzheim und Karlsruhe wohnenden Band.
Ihre Songs pendeln zwischen eingängigem Indie-Garage-Rock und längeren Stücken, die einer wiederkehrenden Bass-Drums-Figur folgen. Prägend sind Danielas wiedererkennbarer, stets nörgelnder Gesang und Reiners Gitarrenspiel. Er zerrt, prügelt, quält, lässt jaulen, zirpen, jammern um dann wieder in die gängigeren Strukturen zu kippen. Das meiste im Neefschen Kosmos folgt nämlich einer gütigen, positiven Natur. Alles wird immer wieder gut.
Die besonderen Sahnehäubchen der Platte sind für mich die kurzen Kleinoden aus fragmentarischen, im Studio eingespielten Variationen, die mit Aquanautengnom und Mädchenschwung betitelt sind und jeweils mehrere Teile anbieten. Das sind gluckernde Unterhaltungen und psychedelische Überlieferungen zwischen dem Volk der Meere, das auf vielen kleinen Zeichnungen auf dem selbstbemalten Cover zu sehen ist, an den kosmischen Botschafter. Dinge, die nur die Pancakes beobachten und hören, die sie uns aber mit kindlicher Neugierde aufzeichnen und zum erstaunten Anhören zur Verfügung stellen. Am schönsten finde ich den ersten Mädchenschwung, der mit Echogitarre und Wright'scher "Piper At The Gates Of Dawn"-Orgel die Brücke zum 30jährigen Jubliläum dieser ersten Pink Floyd Platte schlägt.
Die Pancakes: Jenseits von Wegen, die Bands unserer Gegend jemals beschritten haben, immer im eigenen Kosmos, völlig unbeeinflusst vom restlichen Geschehen dieser Welt. Coolness ist etwas über das sie erhaben sind. Sie sind witzig, auf eine sehr abgeklärte Art immer kindlich geblieben und scheren sich nicht um Erfolg oder das Rockbusiness. Dafür werden sie für immer meine Sympathien behalten.
Die Platte ist auf 280 Stück limitiert. Es gibt keine CD-Version.
(Ralf, 28.12.07)
Hellmute - The He-She Strikes Back! (Fistfucker Records, 2007) CD
Hellmute sind ein Phänomen. Man muss sie einfach liebhaben. Welche Band verfügt über soviel Charm, Selbstironie, Aberwitz und Können gleichzeitig? Auch wenn ihr Stil bis heute derselbe geblieben ist und man ein Hellmute-Riff aus einem Heuhaufen von Riffs heraushören könnte, verfügen Sie über eine enorm breite musikalische Offenheit und verweben ihre Vorliebe für Skurrilitäten jeglicher Art und einer fast schon 60s/Garage-ähnlichen B-Movie-Plakativität mit diesem grundgütigen, beinharten und immer schiebenden Hardrock-Beat.
Ihre Metal-/Hardrock-Roots werden sie niemals verlieren, die hört man in verschiedenen Facetten immer wieder durch, nein, es sind eigentlich schon Zitate, die sie hier immer wieder anbringen. Dennoch bleiben sie im Detail sehr variabel und einfallsreich. Auch diesmal überraschen sie mit irrwitzigen Gitarren-Soli, die einem von alleine die Augen ins Rote rollen lassen, schepprigen 80s-Synthies, wie eine Schar böswilliger Kakerlaken, die sich einem unter der Haut herumjagen, urplötzlicher Melodiösität, die solange heimlich hinter einer Mauer gelauert hat, bis sie dahinter hervorspringen kann, um das nächste gutgläubige Opfer zu erschrecken, einer Blues-Harmonica, die den Mississippi in sich selbst ertrinken lassen könnte und als Gipfel der Unverfrorenheit einen Song, der so abartig un-hellmute ist und den ich als allererstes zu hören bekam, sodass ich zunächst fast glauben wollte, dass sie nun ihre langjährig gehegte Abneigung zur "Ambition" (ein Schimpfwort in Hellmute-Kreisen) über Bord geworfen haben könnten. Bis ich mich eben wieder daran erinnert habe, dass wir es hier mit Hellmute zu tun haben. Hier wird nichts ernst genommen, am Ende sich selbst.
Im Video dazu, das übrigens auf Hellmutes Myspace-Platz bestaunt werden kann, sieht man Hasengesichter, die "Uuuuuuh, schalalalaaaa" singen.
Diese Platte macht enorm viel Spass und kommt mir fast vor wie die eingängiste aus ihrer reichen Discographie. Sie ist übrigens, nach "Revenge Of The He-She's" der zweite Teil einer LP-Trilogie. Auch das ein Meilenstein im Hellmuteschen Ideenkosmos.
Und über allem wären Hellmute nicht Hellmute, wenn sie dem nicht noch draufsetzen würden, was es in der Rockgeschichte so nun wirklich noch nie gab: Einen hammergeilen Teufel mit den drei goldenen Haaren mit Kudi, dem schnarchenden und scheltenden Teufel und dessen krächzender Mutter. Ich hab Tränen gelacht! Wer jetzt immer noch nicht kapiert, wie Hellmute ticken, der kapiert überhaupt gar nichts mehr.

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Teufel